„Erzählen ist wie eine Landkarte…“ Zweimal im Jahr lädt Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier die Diakon*innen des Sprengels Osnabrück zu einem Seminar bzw. einem Konvent ein. Der diesjährige Konvent stand unter dem Motto „Im Westen was Neues“ und war als Stadt-Spaziergang auf den Spuren des in Osnabrück geborenen Autors Erich Maria Remarque angelegt. In seinen Romanen tauchen viele Orte in der Altstadt und auf dem Gertrudenberg auf.
Aktuell auch nach 100 Jahren
Um Remarques Leben, seine literarische Auseinandersetzung nicht nur mit dem Ersten Weltkrieg und um die wieder aktuelle gesellschaftliche Bedeutung seiner Themen ging es im ersten Teil des Spazierganges. Persönliche Geschichten und Anknüpfungspunkte aus der eigenen Familie gaben Teilnehmer*innen beim zweiten Teil am Nachmittag im Rahmen eines Gottesdienstes preis. Er fand in der romanischen Gertrudenkirche auf dem Gelände des ehemaligen Landeskrankenhauses, heute AMEOS-Klinikum Osnabrück, statt. Hier hatte Remarque als junger Mann Orgel gespielt, um sein Gehalt aufzubessern.
Warum Geschichten bedeutsam sind
In ihrer Predigt nahm Landessuperintendentin Klostermeier den „Erzählfaden“ auf, den die Teilnehmer mit ihren persönlichen Geschichten und Familienerinnerungen gelegt hatten: "Im Erzählen erschließt sich mir die Welt. Ich kann die eigenen Erfahrungen sortieren und interpretieren, an fremden Welten teilhaben und neue Welten entwerfen.“ Und mit Blick auf den von dem niederländischen Geschichtsprofessor Hans Peterse sehr feinsinnig geführten Stadtspaziergang durch Osnabrück ergänzte sie: „Erzählen ist wie eine Landkarte, die entsteht und orientiert. Ah, so ist das Leben. So ist es auch. So könnte es sein. So war es mal.“ Bezogen auf die Geschichten der Bibel betonte sie, es sei gut, „dass wir die anderen, die fremden Erzählungen haben. Die vom Leben, wie es sein soll und sein kann. Ich bin froh, dass wir sie jeden Sonntag im Gottesdienst vorlesen.“ Mit der Geschichte vom Ostermorgen beendete die Regionalbischöfin ihre Predigt.
Und da der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, des Jakobus Mutter, und Salome Spezerei, auf dass sie kämen und salbten ihn. Und sie kamen zum Grabe am ersten Tag der Woche sehr früh, da die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen dahin und wurden gewahr, daß der Stein abgewälzt war (Markus 16).
„Diese Erzählung: dass Licht fällt auch in die dunkelste Kammer unserer Weltgeschichte. Unserer Lebensgeschichte. Dort, wo Träume zu Ende gingen und das Leben schlecht ausging, wo Schuld ist und Versagen. Dort fällt das Licht hinein von Gottes Wirklichkeit, die uns herausholt und uns neu macht.“
Zur Person Erich Maria Remarques: Mit dem Roman "Im Westen nichts Neues" (1929) wurde Erich Maria Remarque schlagartig berühmt. In seinen weiteren Werken setzte sich der 1898 in Osnabrück geborene Autor kritisch mit der deutschen Geschichte auseinander, was ihm nicht nur in der NS-Zeit Hass eintrug. Er emigrierte bereits 1932 in die Schweiz, seine Bücher wurden in Deutschland als „schädliches und unerwünschtes Schrifttum“ verboten und 1933 verbrannt, er selbst 1938 ausgebürgert. Auch im Nachkriegsdeutschland distanzierte man sich lange von Remarque. Das Verhältnis zu seiner Geburtsstadt war nicht ungetrübt und hat sich erst mit der Zeit gewandelt. 1964 erhielt Remarque die höchste Auszeichnung der Stadt, die Justus Möser Medaille, erst 1971 sprach sich der Rat der Stadt für die Umbenennung des Karlsrings in Erich-Maria-Remarque Ring aus. Seit 1991 vergibt die Stadt Osnabrück in Erinnerung an das pazifistische Engagement Erich Maria Remarques alle zwei Jahre den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis. Das Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrum mit ständiger Ausstellung zu Leben und Werk des Schriftstellers besteht seit 1996 in einem Gebäude im Herzen der Altstadt, schräg gegenüber des Rathauses. Der Eintritt ist frei, ebenso wie die geführten Stadtrundgänge.