"Gestorben wird nicht nur virtuell"

Nachricht 28. November 2019

Osnabrück. Sachlicher Text unter farbigen Fototafeln: Kennziffer, Datum, Ort, Ursache. Darüber das Fotomotiv: Kreuz, Kerzen, Blumen am Straßenrand. Keine Antwort auf die Frage nach dem „Warum“. Die Ausstellung „Straßenkreuze gegen das Vergessen“ dokumentiert zwanzig Verkehrsunfälle mit tödlichem Ausgang überwiegend junger Menschen im Landkreis Osnabrück. Nicht wenige von ihnen waren Schüler des Berufsschulzentrums am Westerberg (BSZW). Bernd Busse ist dort Teamleiter der Fachgruppe Religion mit 11 Lehrkräften und hat die Ausstellung in die Schule geholt. „Es wird nicht nur virtuell gestorben“ sagt er. Und: „Das Fach Religion hat hier eine Nischenfunktion, um existenzielle Fragen zu stellen. Religion an Berufsschulen ist was völlig anderes, als zum Beispiel am Gymnasium“. Eine religiöse Zuordnung der Schüler sei meist gar nicht möglich. Es wird offen religiös eingeladen, die Themen orientierten sich an der Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler, führt er aus. „Die jungen Leute hier sind damit konfrontiert, ihr Leben alleine zu organisieren, sie sind ausgezogenen, das zu Hause weit weg, haben vielleicht Stress auf der Arbeit oder privat – so vieles ist komplett neu für sie.“ Jennifer Westkamp-Machowiak betreut eine Sprachförderklasse. Da gebe es viele Ansatzpunkte für Trauer und den Umgang damit, erklärt sie. „Solche krassen Themen weichen Grenzen auf. Zum Beispiel, wenn die Schüler einander erklären, welche Trauerrituale sie haben.“

Was löst die Ausstellung bei den Schüler*innen aus?
Zwei Wochen (vom 12. - 22. 11.) lang hatten alle Schulklassen Gelegenheit, die Ausstellung zu besuchen, viele haben das genutzt. Die Religionslehrkräfte hatten einen abgegrenzten Bereich mit Kerzen, Karten und Schreibmaterial als Raum der Stille gestaltet, als eine Möglichkeit, sich über das Gesehene und Erinnerte auszutauschen. Dr. Helga Kramer ist Berufsschulpastorin und war mit einer – wie sie sagt „gemischten“ Klasse in der Ausstellung. Gemischt heißt hier etwa die Hälfte mit muslimischem, der Rest mit christlichem Hintergrund oder indifferent. „Da ist erst mal Sprachlosigkeit“, fasst sie zusammen. „Die Ausstellung hat die Klasse existenziell gepackt“. Bei einem Geflüchteten lösen die Bilder vom plötzlichen Tod am Straßenrand etwas anderes aus, als bei einer Schülerin, die vor kurzem eine Freundin und Mutter eines zweijährigen Kindes verloren hat. Der plötzliche Tod verändert die Wahrnehmung auf das „planbare Leben“ und „richtigen Moment“. Helga Kramer empfindet die gemischte Zusammensetzung in ihrem Kurs als Gewinn. „Es kommt eine andere Dimension in den Religionsunterricht durch die unterschiedlichen Glaubenswelten und wie Religion gelebt wird“. Das Fach Religion stehe immer unter einem Rechtfertigungsdruck. Eine Ausstellung wie diese biete gute Anknüpfungspunkte für viele Lebensfragen - die Frage der Auferstehungshoffnung sei nur eine davon, so die Pastorin.

Wie ist die Wanderausstellung „Straßenkreuze gegen das Vergessen“ entstanden?
Manfred Motzek ist im Landkreis Osnabrück unter anderem zuständig für Verkehrssicherheit und Prävention. Er hat die  Ausstellung „Straßenkreuze gegen das Vergessen“ vor über 15 Jahren konzipiert und aufgebaut. Die Anregung gaben ihm Initiativen aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt. In beiden Bundesländer sei die Zahl tödlicher Unfälle damals sprunghaft angestiegen erinnert sich Motzek. Bis heute dokumentiert er mit einem Fotografen die tödlichen Unfallplätze im Landkreis und aktualisiert die Ausstellung. Der letzte Unfall datiert vom 3.10.2019.  Die Ausstellung wird 3-4 /Jahr vor allem an Berufsschulen in Stadt und Landkreis Osnabrück gezeigt.

Was sagt die Statistik?
Insgesamt sei die Zahl tödlicher Verkehrsunfälle im Landkreis stetig gesunken und mit zwei bis drei Fällen im Jahr erfreulich gering. Den Führerschein auf Probe und das begleitete Fahren ab 17 Jahren macht Motzek dafür mitverantwortlich. Dennoch seien junge Fahrer*innen noch überproportional an Unfällen beteiligt. Acht Prozent der Einwohner im Landkreis Osnabrück sind zwischen acht und fünfzehn Jahre alt. Knapp zwanzig Prozent der Verkehrstoten sind zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahre alt, so die Statistik der Verkehrsabteilung.

(Text und Fotos: Brigitte Neuhaus, Öffentlichketisarbeit im Sprengel Osnabrück)