Nichts ist beständiger als der Wandel. Dafür liefert die Südstadtkirchengemeinde in Osnabrück den Beweis.
Vor 110 Jahren, 1909, wurde die imposante Lutherkirche in der Neustadt erbaut, ihre ornamentale Ausmalung im Jugendstil ist bis heute eine Besonderheit. In den folgenden 60 Jahren wuchs die Gemeinde so stark, dass mit der Melanchthonkirche, der Margaretenkirche und dem Lukas-Gemeindezentrum drei neue Kirchengemeinden gegründet wurden. 2009, zum 100. Geburtstag der Lutherkirche, wurden sie wieder zu einer Gemeinde zusammengelegt. Gemeinde als Spiegelbild der demografischen und gesellschaftlichen Entwicklung. Die Südstadtkirchengemeinde ist die erste Gemeindefusion auf evangelischer Seite im Kirchenkreis Osnabrück. Es gab keine Blaupause und abgeschlossen ist sie noch nicht.
Berenzung wird zum Entfaltungsraum
Zum 10. Jubiläum predigte die Landessuperintendentin bei im Festgottesdienst. Sie betonte, dass die Südstadtkirchengemeinde wie viele Kirchengemeinden in den letzten Jahrzehnten einen schwierigen Prozess durchlaufen habe. „Auch die vier Gemeinden Melanchthon, Luther, Margarethen und Lukas sind gemeinsam durch Höhen und Tiefen gegangen, haben Klippen umschifft und so manche bittere Erfahrung machen müssen. Vielleicht war die schmerzlichste Erfahrung die Entscheidung, die Melanchthonkirche zu entwidmen. Es ist gut, wenn es dann gelingt, dass alle diesen Schmerz tragen und mitfühlen.“ Aus der Erfahrung der Begrenzung aber sei eine neue Erfahrung erwachsen. Über das „Kleiner werden“ sei eine vergessene Schönheit neu zu entdecken. Verlust könne auch bedeuten, Neues zu gewinnen. Die Vielfalt und die Lebendigkeit der Südstadtkirchengemeinde sei Ausdruck dieser neuen Kraft.
Agieren statt reagieren
Pastorin Telscher-Bultmann hat den Prozess seit 2006 miterlebt. „Ja, da war große Skepsis und auch Sorge davor, als Gemeinde ‚vereinnahmt zu werden‘“, erinnert sie sich. Gleichzeitig bestätigt sie: „Rückblickend muss ich sagen, dass es richtig und gut war zu handeln, bevor die Notwenigkeit erdrückend geworden wäre. Dadurch hatten wir mehr Gestaltungsspielraum, konnten noch eher agieren statt nur zu reagieren“.
Für die Gemeindemitglieder gab es unterschiedliche Perspektiven, je nachdem, ob sie zu einem „Außenstandort“ oder eben zur Lutherkirche gehörten. Heute erlebe sie „insgesamt eine zunehmende Akzeptanz“, so Telscher-Bultmann. Die Identifikation mit der neuen Gemeinde sei sukzessive gewachsen. Das liege vermutlich auch an der hohen Qualität der Angebote, die durch den Zusammenschluss erst möglich geworden seien, wie beispielsweise die Seniorenakademie, die Jugendarbeit und die Arbeit im Lukas – Familienzentrum. Als Pastorenteam seien sie stark und könnten Schwerpunkte setzten. Das empfindet Telscher-Bultmann als Vorteil. Nach rd. Zehn Jahren sei man jetzt an dem Punkt, an dem man die Vorteile des Zusammenschlusses klar spüre. „Auf dem Weg dorthin haben wir viel miteinander lernen müssen, haben gemeinsam mit dem Kirchenvorstand Dinge probiert und wieder gelassen. Es gab ja kein Modell“, sagt Telscher-Bultmann und betont gleichzeitig die professionelle Begleitung des Prozesses von außen. Für die Zukunft sieht sie die Gemeinde gut vorbereitet: „Wir haben die Erfahrungen im Gepäck und gehen jetzt an den Prozess der Qualitätsentwicklung. Das ist für uns in dieser Konstellation einfacher geworden“.
Fest steht jedenfalls, dass es für künftige Gemeindefusionen eine „Blaupause“ gibt und dass man sich bei den Kolleg*innen der Südstadtkirchengemeinde Rat suchen kann.
(Brigitte Neuhaus)