„Gewalt beenden, dem Hass entgegentreten“

Nachricht 24. März 2022
Regionalbischof Friedrich Selter (c) Sprengel Osnabrück

Stellungnahme der EKD-Kirchenkonferenz zum Krieg in der Ukraine im Wortlaut.  "Sie beinhaltet die traurige Einsicht, dass zur Verteidigung gegen skrupellose Kriegsverbrecher Waffen unverzichtbar sind. Aber Frieden sichern können Waffen allein nicht", betont Regionalbischof Friedrich Selter dazu. "Es ist frustrierend, zu sehen, dass die vielen Versöhnungsprojekte mit Besuchen hin und her, mit Schüler- und Jugendaustausch, die über Jahrzehnte in Russland gelaufen sind, Putin nicht haben zögern lassen, die Ukraine anzugreifen. Gleiches gilt für die Partnerschaftsprojekte zwischen der Ukraine und anderen europäischen Ländern, zum Beispiel die Hilfe für „Kinder aus Tschernobyl“. Weder alle  Friedensinitiativen, noch die wirtschaftlichen Verflechtungen haben verhindern können, dass Putin gegen ein europäisches Land einen brutalen Krieg führt." Er sei schon als Jugendlicher für 'Frieden schaffen ohne Waffen' auf die Straße gegangen. Der Krieg stelle seine eigene friedensethische Gesinnung infrage. "Dennoch halte ich daran fest, dass wir als Kirche für gewaltfreie Konzepte zur Friedenssicherung eintreten müssen. Das werden wir auch weiterhin tun, unter anderem mit den „Friedensorten“ unserer Landeskirche", unterstreicht Selter und ruft dazu auf, weiterhin Friedensgebete und Kundgebungen gegen den Krieg zu besuchen. „Natürlich ist es gut und richtig, auch im stillen Kämmerlein für den Frieden zu beten. Aber es gemeinsam in der Öffentlichkeit eines Gottesdienstes oder einer Andacht zu tun, stellt für alle Beteiligten eine Ermutigung dar und ist auch ein wichtiges Signal nach außen.“

Stellungnahme ider EKD-Kirchenkonferenz im Wortlaut:

 Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Matthäusevangelium Kapitel 5, Vers 9
 
Wir sprechen allen Menschen, die in der Ukraine und angrenzenden Ländern von der unfassbaren Gewalt des vom russischen Staatspräsidenten begonnenen Krieges betroffen sind, unsere Achtung und unser tiefes Mitgefühl aus. Dass Menschen – Soldaten wie Zivilbevölkerung – für politische und militärische Ziele instrumentalisiert, verletzt und getötet werden, verurteilen wir auf das Schärfste. Wir bewundern den Mut der ukrainischen Zivilgesellschaft und nehmen ihn angesichts unserer komfortablen Situation in Deutschland mit einem Gefühl der Beschämung zur Kenntnis. Mit Respekt und voller Dankbarkeit blicken wir auf die große Hilfsbereitschaft, die sich in der Ukraine, den angrenzenden Ländern und auch bei uns in Deutschland zeigt. Wir werden alles in unserer Möglichkeit Stehende tun, um die Menschen in der Ukraine und Geflüchtete zu unterstützen. Dazu zählt die Fürbitte genauso wie die Seelsorge an Traumatisierten, der Einsatz für besonders verletzliche Menschen und alle Unterstützung für diplomatische und nichtmilitärische Wege.
 
Auf der Grundlage des Evangeliums von Jesus Christus sind wir zutiefst davon überzeugt, dass Frieden letztlich nicht mit Waffengewalt zu schaffen ist. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Ohne Vertrauen, Gerechtigkeit und persönliche Kontakte zwischen Menschen aller Völker ist Frieden nicht möglich. Dennoch sehen wir das Dilemma verschiedener Optionen zwischen dem grundsätzlichen Wunsch nach einer gewaltfreien Konfliktlösung und dem Impuls, angesichts eines Aggressors, der auf brutale Weise geltendes Völkerrecht missachtet und Kriegsverbrechen begeht, die Ukraine mit Waffen zu unterstützen. Unbestritten ist das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine im Blick auf die gegen sie gerichteten Aggressionen.
 
Wir rufen die russische Führung auf, die Gewalt zu beenden. Wir sehen mit ohnmächtigen Gefühlen auf den Kriegstreiber und unterstützen die Bemühungen der Politik, ihm wirksam entgegenzutreten. Wir selbst können viel für die Menschlichkeit tun. Dazu gehört es, geflüchtete Menschen aufzunehmen und in unserer Gesellschaft keine Spaltung zwischen verschiedenen Gruppen von Geflüchteten entstehen zu lassen. Das Recht auf Zuflucht an einem sicheren Ort ist nicht teilbar.
 
Wir dürfen über die große Hilfs- und Spendenbereitschaft für die Ukraine nicht andere Kriegsregionen vergessen. Eine solche Verlagerung der Hilfsbereitschaft läuft auf Dauer Gefahr, als Folge des Krieges in der Ukraine Konflikte in anderen Weltgegenden zu verursachen und Menschen sterben zu lassen. Humanität ist nicht teilbar. Humanität stiftet Frieden. Wir bitten die Bundesregierung mit Nachdruck, von der beabsichtigten Kürzung der Mittel für Entwicklungshilfe abzusehen.
 
Innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche nehmen wir eine deutliche Mehrstimmigkeit wahr. Von Beginn an gab es auch in deren Reihen Voten gegen die Kriegshandlungen, insbesondere in der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. Wir würdigen den Mut vieler orthodoxer Priester in Russland, die sich in einer Unterschriftenaktion gegen den Krieg und die Position Ihrer Kirchenleitung geäußert haben. Als Friedensstifter haben sie viel riskiert und sich in große Gefahr begeben. Umso wichtiger ist es uns, einer pauschalen Wahrnehmung der russischen Orthodoxie und deren Einordnung in ein uniformes Feindbild von Russland entschieden entgegenzuwirken.
 
Angesichts der Mehrstimmigkeit der russischen Orthodoxie hoffen wir, dass es möglich ist, Brücken des Dialogs aufrecht zu erhalten. Sie können Wege eröffnen, die für einen Friedensprozess von großer Bedeutung sein können. Für eine langfristige und tragfähige Perspektive ist es entscheidend, kulturelle, wirtschaftliche und menschliche Kontakte zu halten. Die Zivilgesellschaft in Russland ist auf unsere Unterstützung angewiesen. Ebenso wichtig ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt bei uns zu fördern. Es darf sich kein Hass gegen Menschen russischer Abstammung bei uns ausbreiten.
 
Eine künftige Friedensordnung braucht mehr als militärische Gewalt und Abschreckung: sie braucht globale Gerechtigkeit; sie braucht Klimagerechtigkeit, sie braucht eine verbindliche Rechtsordnung, die die Zivilgesellschaft stärkt, die Menschenrechte sichert und auch für Großmächte gilt.
 
Hass und Gewalt dürfen nicht das letzte Wort haben. Das letzte Wort hat der Frieden. Christus ist unser Friede.
 
Hannover, 24. März 2022,  
Pressestelle der EKD
Carsten Splitt
 
Download der Stellungnahme: www.ekd.de/kirchenkonferenz-ukraine
 
Aktuelle Informationen und Materialien zum Thema „Krieg in der Ukraine“ finden Sie unter www.ekd.de/ukraine
 
 Über die Kirchenkonferenz der EKD: Die leitenden Theologinnen und Theologen sowie die leitenden Juristen und Juristinnen der Gliedkirchen bilden die Kirchenkonferenz der EKD. Das Gremium trifft sich viermal im Jahr, berät über die Arbeit der EKD und über gemeinsame Anliegen der Gliedkirchen. Die Kirchenkonferenz leitet der Synode und dem Rat Vorlagen oder Anregungen zu, wirkt bei der Wahl des Rates mit und hat ein eigenes Initiativrecht bei der Gesetzgebung. Geleitet wird die Kirchenkonferenz von der Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Annette Kurschus.