"Umbrüche, Aufbrüche und Chancen" am Beispiel der Landwirtschaft, so das Thema bei der Männer-Vesper, zu der die Männerarbeit im Sprengel Osnabrück einmal im Jahr einlädt. „Schimpf nicht mit vollem Mund über Landwirte“, was wir essen, sei das Produkt harter Arbeit, betont die Referentin des Abends, Pastorin Ricarda Rabe.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn greift Regionalbischof Selter in seiner Andacht zu Beginn auf. Nach seinem Scheitern in der Stadt wird der "verlorene Sohn" von seinem Vater auf dem bäuerlichen Gut wieder aufgenommen. Die bäuerliche Lebensform werde schon in der Bibel oft romantisierend in Ordnung im Vergleich zu den Verführungen des Lebens in der Stadt dargestellt, legt Selter die sozialgeschichtliche Ebene des Gleichnisses aus. Mit Blick auf das Thema "Umbrüche, Aufbrüche und Chancen" betont er, dass "Gott mich nicht darum lieb hat, weil ich so ein Guter bin, sondern weil ich auf ihn vertraue". Gott wolle, dass wir Menschen versuchen, die jeweils verschiedenen Herausforderungen unserer Zeit solidarisch zu bewältigen. Und er wolle, dass allen Menschen in Not geholfen werde. Mit der diakonisch-politischen Auslegung bezieht sich Selter auf die Migranten, die in den Wäldern an der Grenze von Belarus nach Polen zum Spielball der Mächtigen zwischen Ost und West werden. "Menschenverachtung in schlimmster Form", nennt er das.
In dem anschließenden Vortrag skizziert Ricarda Rabe, Referentin für den Kirchlichen Dienst auf dem Lande, den Strukturwandel in der Landwirtschaft und benennt drei große Herausforderungen für deren Zukunft.
Von 1,6 Millionen Bauernhöfen in Deutschland 1949 seien heute noch rund 300.000 geblieben. Ein Landwirt habe um das Jahr 1900 vier Personen ernährt, heute sind es 134 Menschen. Jedes Jahr geben 2 bis 5 Prozent der Betriebe auf. Eine Abfrage bei den 55 Gästen der Männer-Vesper ergab fünf Landwirte. In deren Elterngeneration waren es noch neun, und bei den Großeltern 15, die ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft verdienten.
Als Herausforderungen nennt Pastorin Ricarda Rabe:
1. Den Boden: Versiegelung, Erosion, Nitrateinträge und der Wettbewerb um die beste Rendite. Mittlerweile konkurrieren auch Fotovoltaikanlagen mit Getreide um landwirtschaftliche Nutzfläche. „Ich bin nicht gegen den Ausbau erneuerbarer Energien, aber solange es in den Städten noch Dächer ohne Solaranlagen gibt, wehre ich mich dagegen, dass Ackerflächen mit Fotovoltaikmodulen zugebaut werden.“
2. Die hohe Arbeitsbelastung an 365 Tagen im Jahr zusammen mit dem immensen Anpassungsdruck. Immer weniger Landwirte könnten von ihrer Arbeit leben, zugleich steige der Druck von außen: durch Politik, Gesellschaft und Medien, aber auch durch „die Leute im Dorf“. „Das geht hin bis zu Landwirtskindern, die in der Schule gemobbt werden“, erklärte Ricarda Rabe. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Trends zu Bio plädierte sie für einen stärkeren Austausch zwischen Bio-Betrieben und konventioneller Landwirtschaft.
3. Schließlich fehle das Wissen und die Wertschätzung. „Was wir auf den Tisch bekommen, wird nicht mehr wertgeschätzt, weil es nichts kostet“. Damit beklagt sie auch eine „ernteentfremdete Bevölkerung“, die nicht mehr wisse, wo unser Essen herkommt. „Ein Drittel aller Lebensmittel wird weggeworfen.“ Deutschland zählt zu den Ländern mit den niedrigsten Lebensmittelpreisen in Europa.
Wie sich die Landwirtschaft in Zukunft weiterentwickle, hänge an mehreren Faktoren. Laut Pastorin Rabe stehen ganz oben die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Auf europäischer Ebene sollen sie durch den sogenannten Green Deal verwirklicht werden, mit ihm will die EU bis 2050 klimaneutral werden. EU-weit ginge die Entwicklung hin zu weniger Pestiziden und Düngemitteln und mehr Bio, so Rabe. Entsprechende Verordnungen müssten in deutsches Recht umgesetzt werden und schließlich in Regelungen für Niedersachsen münden.
Der Landwirt Henrik Zühlsdorf betreibt in Bersenbrück eine Biogasanlage und schildert die Situation aus seiner Sicht. „Uns fehlt die Langfristigkeit für eine verlässliche Planungssicherheit“. Es gebe laufend gesetzliche Änderungen, die nach einer hohen Anfangsinvestition immer wieder neue Investitionen erforderten, um die Anlage überhaupt weiterbetreiben zu können. Die garantierte Einspeisevergütung laufe 2026 aus. „Wie es danach weitergeht, das bereitet mir schlaflose Nächte.“
(Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis und Sprengel Osnabrück)