"Suchet der Stadt Bestes" - Regionalbischof Friedrich Selter in St. Marien

Nachricht 26. August 2024

Regionalbischof Friedrich Selter zum 700. Kirchweihjubiläum von St. Marien Osnabrück

Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.
Regionalbischof Friedrich Selter baute seine Festpredigt auf den Worten des Propheten Jeremia auf (29, 1-14). Die Zeilen sind vor 2500 Jahren entstanden und richteten sich an die nach Babylon verschleppten Menschen, die der Prophet aus ihrer depressiven Erstarrung herausrufen will. Der Aufforderungscharakter seiner Worte gilt heute unvermindert, erläuterte der Leitende Theologe und spannte den Bogen durch die Geschichte bis zur Gegenwart.

„Suchet der Stadt Bestes“ – dieser Impuls geht in zwei Richtungen:

"Nehmt wahr, was die Stadt an Gutem für Euch bereithält. Und andersherum: Bringt Euch ein, damit es der Stadt gut geht. Seid ein Segen für die Stadt. Diese Weisung münzen wir auch auf uns als Kirchen,“ erinnerte der Regionalbischof zunächst mit Blick auf die 700-jährige Geschichte von St. Marien anhand einiger Beispiele. St. Marien wurde als Bürgerkirche, nicht als Stiftskirche gebaut, ihre Lage am Markt, bewusst in unmittelbarer Nähe zum Rathaus. Spätestens nach der Einführung der Reformation im Jahre 1543 sicherte sich der Rat der Stadt das Recht der Pfarrstellenbesetzung, er schuf somit ein Gegengewicht zur Macht des Domkapitels. Und umgekehrt wurde der jeweils neue Rat mit einem festlichen Gottesdienst in St. Marien eingeführt.
"Das Gebet der Gemeinde für die Stadt konkretisierte sich immer wieder auch im Gebet für die Ratsleute. St. Marien: Kirche für die Stadt." 
Gegründet als geistlicher Ort sei sie dem gottesdienstlichen Leben und der Spiritualität geweiht. Aber St. Marien sei nie eine nur auf sich selbst bezogene Kirche gewesen, so Friedrich Selter. Die Gemeinde habe sich von Anbeginn an für ein gutes Leben in Osnabrück eingesetzt. Dem Schalom, dem Frieden im engeren Sinne, habe St. Marien insbesondere während der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden gedient. Seit 1643 war sie geheimer Verhandlungsort der Schweden und Dänen, die sich hier zu vertraulichen Gesprächen im geschützten Raum trafen. Als am 25. Oktober 1648 im Friedenssaal des Rathauses der Westfälische Frieden verkündet wurde, spielten Bläser auf dem Turm der Kirche Choräle in alle Himmelsrichtungen, erinnerte Friedrich Selter.

Aus der Geschichte in die Gegenwart: Was ist „Der Stadt Bestes“?

„‘Der Stadt Bestes´, das ist ihr ‚Schalom´. So bringt es der Begriff auf den Punkt, den die hebräische Bibel an dieser Stelle verwendet“, erläuterte der Regionalbischof weiter. „Mit dem ‚Schalom´ verbindet sich eine ganzheitliche Vorstellung von Frieden. Er meint ‚Wohlergehen, Sicherheit, Harmonie. Leben im ‚Schalom´heißt: Umgeben zu sein von allem, was dem Leben dient. Schalom, Salam, das ist bis heute in Israel und in den arabischen Ländern der alltägliche Gruß und zugleich ein Segenswunsch. Dahinter steht die Erfahrung: Man erreicht nichts, wenn man das Leben und die Menschen nicht beieinander hält. 'Versöhnen statt spalten', lautet die Devise. Und das gilt überall auf der Welt, auch im Nahen Osten. Das, was dem gedeihlichen Leben und Zusammenleben aller in dieser Welt dient, gilt es allerorten zu suchen.“
Ein kritischer Blick zurück zeige, dass auch St. Marien keineswegs zu allen Zeiten das Wohl der jüdischen Bürger im Blick hatte, hob der Regionalbischof hervor. Er verwies auf die Namen auf der Gedenktafel unter den Arkaden der Stadtbibliothek, das Mahnmal an der Alten-Synagogen-Straße, insbesondere aber auf die Darstellung der fünf törichten und klugen Jungfrauen am prächtigen Hauptportal von St. Marien. Das neutestamentliche Gleichnis erzähle vom kommenden Gottesreich, so Selter. Der Bildhauer damals habe die Jungfrauen jeweils um eine weitere Figur ergänzt: „Auf der einen Seite stellt diese mit erhobenem Haupt die Ecclesia, die Kirche dar, symbolisiert durch Kreuz und Abendmahlskelch. Auf der anderen mit gesenktem Haupt die Synagoga, die jüdische Glaubensgemeinschaft. Deren Augen sind verbunden. Soll sagen: Die Juden sind blind dafür, dass Jesus der erwartete Messias ist. Insofern schreitet, wer vom Markt aus durch das prächtige Hauptportal eintritt, zugleich durch ein Schandmal kirchlichen Antisemitismus hindurch.“ Die Verachtung der Juden werde ins Unerträgliche gesteigert durch ein Schwein, das unter dieser Figur platziert sei. Selter lobte die Initiative, das Kirchweihjubiläum zum Anlass zu nehmen, eine Erklärtafel zu den Antijüdischen Darstellungen im Brautportal anzubringen als starkes Zeichen, sich von jeder Form des Antisemitismus zu distanzieren. Angesichts der zunehmenden antisemitischen Übergriffe gelte mehr denn je: „Nie wieder. Wehret den Anfängen. Noch sind es Anfänge. Lasst nicht zu, dass daraus noch einmal mehr erwächst. Wir halten daran fest, dass wir Menschen zusammengehören. Unsere Stadt und unser Land muss ein sicherer Ort für alle sein. Für alle Religionen und Konfessionen, für jede Herkunft und Lebensauffassung: Ein Ort des Friedens und der Freiheit. Ein Ort des Schalom. Und dazu müssen wir alle einen Beitrag leisten."

„In diesem Gotteshaus hat die Welt ihren Ort, weil Gott in dieser Welt wohnt“

Detail St. Marien (c) Brigitte Neuhaus

„Seit 700 Jahren steht die St. Marienkirche im Zentrum der Stadt. Es sind Menschen, die sich durch alle Zeiten in ihr engagiert haben. Persönlichkeiten, die hier ihre geistliche Heimat gefunden und zugleich anderen einen Ort der Gottesbegegnung geschaffen und erhalten haben. Seit jeher finden die Menschen hier im Kirchenraum Ruhe und Frieden, suchen die offene Kirche täglich auf, lassen sich berühren von der erhabenen und zugleich bergenden Ausstrahlung dieses Raumes. Wieviel schöne Musik ist in dieser Kirche schon erklungen?! Wie viele Ausstellungen, Lesungen und andere Veranstaltungen haben immer wieder deutlich gemacht: In diesem Gotteshaus hat die Welt ihren Ort, weil Gott in dieser Welt wohnt – auch und gerade da, wo es dunkel ist, auf dass es dort hell und warm werde. Und wenn die Glocken von St. Marien läuten und gleichfalls diejenigen des Doms und der anderen Kirchen unserer Stadt, dann künden auch sie davon, dass Gott nicht fern, sondern bei uns in der Stadt zu suchen ist. Und sie laden dazu ein, im Tageslauf innezuhalten und zu Gott zu beten – auch für das Wohlergehen der Stadt und aller, die in ihr leben.“


(Auszüge aus der Festpredigt von Regionalbischof Friedrich Selter zum 700 Kirchweihjubiläum von St. Marien)